«Pflegende sind Fach- und Vertrauenspersonen»

Christiane Haushalter, Pflegedienstleiterin der Berner Klinik Montana

Seit Covid-19 erfährt der Pflegeberuf die öffentliche Anerkennung,
die ihm gebührt. Christiane Haushalter, Pflegedienstleiterin in der Berner Klinik Montana, erklärt die bedeutende Rolle, welche der «wichtigste Job der Schweiz» in der Rehabilitation einnimmt.

Frau Haushalter, Sie leiten den Pflegedienst der Berner Klinik Montana und koordinieren damit rund 90 Mitarbeitende. Weshalb braucht es dieses Grossaufgebot an Pflegefachkräften in der Rehabilitation?

Die Berner Klinik Montana sorgt für ein optimales Betreuungsverhältnis, damit wir die Patienten beim Erreichen ihrer Therapieziele unterstützen und sie persönlich begleiten können. Dafür sind wir 24 Stunden und 365 Tage im Jahr im Einsatz. Am heutigen Tag arbeiten beispielsweise 30 Pflegende gleichzeitig in den verschiedenen Klinikabteilungen, um den Pflegebedarf abzudecken. Die Teams bestehen dabei aus drei Gruppen: Auf jedem Stock verantworten Pflegefachfrauen und -männer den Tagesablauf der Patienten und verteilen die Aufgaben mit den
Fachpersonen Gesundheit (FaGe) sowie den pflegerischen Hilfskräften, die ihnen
unterstellt sind.

Wie unterscheidet sich die Pflege in der Rehabilitation von der pflegerischen
Arbeit in einem Akutspital?

Ich arbeite seit 27 Jahren in der Berner Klinik Montana. In dieser Zeit hat sich
der Pflegeberuf gewandelt. Früher war man zum Beispiel der Auffassung, dass
ein Patient nach einem chirurgischen Knie- oder Hüfteingriff zwingend drei Wochen Bettruhe halten müsse. Zahlreiche Studien belegen jedoch heute, dass die besten Regenerationsaussichten dann bestehen, wenn Patienten unmittelbar nach einer Operation oder einem Krankenhausaufenthalt mit der Rehabilitation beginnen. Für die Pflegenden in den Rehabilitationskliniken bedeutet dies, dass sie dieselben pflegerischen oder medizinischen Fachkompetenzen wie in einem Akutspital besitzen müssen. In der Berner Klinik Montana legen sie ebenso Infusionen, führen Blutanalysen durch, wechseln komplexe Verbände oder lehren Patienten, sich selbst zu katheterisieren usw. Es gibt ganz viele therapeutische Schulungen, um die Selbstständigkeit der Patienten zu fördern. Das überrascht
junge Berufseinsteiger. Sie schätzen es sehr, dass sie bei uns ihr erworbenes
Wissen in der gesamten Spannbreite praktisch anwenden können. Gerade für sie ist es wichtig, diese Fähigkeiten zu trainieren und weiter auszubilden.

Das ist nachvollziehbar. Gibt es gar spezifische Vorteile?

Wenn man einen Kniepatienten in einem Akutspital betreut, ist er zwei Tage später schon wieder weg. In dieser kurzen Zeit ist es kaum möglich, sich seinen Namen zu merken. Patienten kommen mit einer klaren Diagnose in die Berner Klinik Montana. Und bleiben länger: Genau genommen dauert ein Aufenthalt durchschnittlich 20 Tage. Währenddessen entwickeln sich die Pflegenden zu wichtigen Bezugspersonen, die eine Beziehung zu den Patienten aufbauen. Sie kennen sowohl die Krankheits- als auch die persönliche Geschichte und begleiten
die Patienten und ihre Angehörigen im gesamten Rehabilitationsprozess.
Im Gegensatz zur Langzeitpflege, wo ältere Menschen über Jahre hinweg betreut werden, stellen sich unseren Pflegenden dennoch in regelmässigen Abständen neue Herausforderungen.

Wie tauschen sich Pflegende, Ärzte und weitere Therapieinvolvierte über die
Fortschritte eines Patienten aus?

Auf jeder Station findet täglich um 8.00 Uhr ein interprofessionelles Kurzmeeting
(«Team-Huddle») statt, an dem fachübergreifend die Pflege, Mediziner und Therapeuten teilnehmen. So halten wir uns gegenseitig über positive Entwicklungen und negative Veränderungen auf dem Laufenden – und können gemeinsam rasch und gezielt darauf reagieren. Auch Patientenwünsche oder Bedenken werden einander mitgeteilt, damit der Patient rasch eine Rückmeldung bekommt. Darüber hinaus kommen wir bei der Arztvisite sowie wöchentlichen «Reha-Rapporten» zusammen, bei denen der Therapieverlauf einzelner Patienten im Detail besprochen
wird. Weil die Pflegenden die meiste Zeit mit den Patienten verbringen, sind ihre zwischenmenschliche Nähe und fachlichen Beobachtungen eine wertvolle Informationsquelle für das gesamte medizinische Personal.

Pflegende führen ärztliche oder therapeutische Anweisungen aus, helfen beim Anziehen, Essen und zig weiteren Alltagshandlungen. Als ständige Begleitende werden sie zu den wichtigsten Personen während des Therapieaufenthalts?

Es ist von grosser Bedeutung, dass die Patienten nicht nur eine fachliche
Ansprech-, sondern eine echte Vertrauensperson haben. Organisatorisch
legen wir Pflegezonen fest, in denen dieselben Mitarbeitenden mit ihnen interagieren: Die Pflegenden hören zu, erkennen wechselnde Gesundheits- und
Gemütslagen sofort und reagieren auf psychische wie körperliche Probleme,
die ihnen die Patienten direkt anvertrauen. Die eingeschränkten Besuchsrechte
infolge der Covid-19-Pandemie haben dieses enge Vertrauensverhältnis noch weiter gefestigt.

Mit Covid-19 traten die Pflegenden vermehrt ins öffentliche Bewusstsein.
Schweizweit zollten ihnen die Menschen Respekt und die Weltgesundheitsorganisation rief im 2020 offiziell das «Jahr der Pflegefachpersonen» aus. Wie erlebten Sie diese aussergewöhnliche Zeit?

In Crans-Montana wurde ich mehrmals von Dorfbewohnern angesprochen.
Sie erkundigten sich danach, wie wir in der Klinik zurechtkommen, und dankten uns für den ausdauernden und beherzten Einsatz. Das hat mich sehr gefreut und berührt. Für die Zukunft erhoffe ich mir, dass die öffentliche Anerkennung langfristig zur Förderung des Berufsstands beiträgt, habe aber meine Bedenken …