«Über ein halbes Jahrhundert lang war die ‹Berner Einrichtung› die Referenzklinik im Bereich der Rehabilitation für Multiple Sklerose.» – Interview mit Claude Vaney
Claude Vaney kann auf über 30 Jahre Berufserfahrung in der Berner Klinik Montana zurückblicken und ist somit ein Augenzeuge der Entwicklung der Einrichtung. Der ehemalige Chefarzt der Neurologie unterstreicht insbesondere die beispiellose und kontinuierliche Innovationskapazität der Berner Klinik.
Die Lage der Klinik in einer gemütlichen Bergumgebung mit frischer Luft und Sonne bietet nachweislich Vorteile.
Was hat Sie vor fast 40 Jahren, als Sie zum ersten Mal mit der Berner Klinik Montana in Berührung kamen, besonders beeindruckt?
Claude Vaney: Ich erinnere mich daran, dass der Chefarzt mich an meinem ersten Arbeitstag in den 5. Stock mitgenommen hat, um mir die 4000er zu zeigen, die sich majestätisch gegenüber der Klinik erheben. Er sagte mit einem Augenzwinkern: «Leider fehlt das Matterhorn. Wenn man es auch noch von den Balkonen aus sehen würde, dann könnten wir den Zimmerpreis um 100 Franken erhöhen …»
Die beeindruckende Aussicht sowie die reine Bergluft waren lange Zeit eines der Hauptverkaufsargumente der Einrichtung. Gelten Sie heute auch noch?
Ich würde sagen «jein». Natürlich hat die Bergumgebung erwiesene Vorteile, insbesondere für Patienten im Bereich der psychosomatischen Rehabilitation. Die Infrastruktur der Berner Klinik ist beeindruckend. Dazu gehören die Schwimmbäder, die Hippotherapie und die hervorragende Küche. Diese Faktoren tragen zu den positiven Ergebnissen bei. Auch die hochwertigen Behandlungen und Therapien spielen aktuell eine wichtige Rolle. Sie bilden das Alleinstellungsmerkmal (USP) der Klinik.
Spiegelt diese Entwicklung jene der Berner Klinik Montana im Laufe der Jahre wider?
Absolut. Vor 75 Jahren wurde sie in ein Bergsanatorium verwandelt, insbesondere für an Tuberkulose erkrankte Menschen. Damals kaufte die Berner Regierung das ehemalige Hotel Bellevue sowie die angrenzenden Liegenschaften. Nach zwei Jahren Sanierungsarbeiten konnten die ersten Patienten in diesem neuen alpinen Behandlungszentrum begrüsst werden.
«Die Berner Klinik Montana war eine der ersten Einrichtungen des Landes, in der stationäre psychosomatische Behandlungen angeboten wurden.»
Claude Vaney
Sie haben sich mit den alten Jahresberichten der Einrichtung beschäftigt und konnten aussagekräftige Patientenzahlen herausfiltern …
Im ersten Jahrzehnt ihrer Tätigkeit zählte die Einrichtung, damals unter dem Namen «Bernische Heilstätte Montana», etwa zwei Drittel Tuberkulosepatienten. In den 1960er-Jahren ging dieser Anteil aufgrund der Einführung effizienter Medikamente zurück und lag in diesem Zeitraum bei rund 50 %. Das Argument der frischen Luft wirkte noch …
Anfang der 70er Jahre ging die Anzahl der Tuberkulosepatienten weiter zurück. Wie hat die Klinik auf diese Entwicklung reagiert?
Die Klinik hat ihre Behandlungen auf weitere Erkrankungen mit Rehabilitationsbedarf ausgeweitet, insbesondere für Patienten mit Multipler Sklerose. Die 1959 gegründete Schweizer MS-Gesellschaft suchte damals einen Ort, an den sie Patienten zur Genesung schicken konnte. Es gab noch keine spezifische Behandlung. Man ging davon aus, dass ein Aufenthalt in der frischen Luft und unter der Sonne von Montana eine willkommene «Pause» für diese als nicht heilbar geltenden Menschen und ihre Familien war.
Im Laufe der Jahre ist die Anzahl der Patienten mit dieser neurologischen Erkrankung in der Klinik stark angestiegen. Ende der 1970er-Jahre erreichte sie ihren Höhepunkt, und die Zahlen sind seither relativ hoch geblieben. Die Berner Klinik hat zahlreiche Anstrengungen unternommen, um diesen Patienten geeignete Strukturen anzubieten. Besonders erwähnenswert sind die Einführung der Hippotherapie in den 1970er-Jahren und der Bau des Schwimmbads in den 1980er-Jahren.
Von der Klinik aus ist die Sicht auf die Walliser Gipfel atemberaubend.
In diesen Jahrzenten wurden im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen Erholungskuren in Frage gestellt. Stattdessen kamen Bewegungstherapien immer mehr in Mode. Das hatte natürlich Auswirkungen auf die Daseinsberechtigung der Klinik …
Aber diese konnte erneut ihre Reaktionsfähigkeit unter Beweis stellen. Es wurde eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich mit der Transformation der Berner Klinik beschäftigte, und ein gigantisches Renovierungsprojekt mit einem Kostenvoranschlag von rund 20 Millionen Franken entwickelte. Im Rahmen der zwei Jahre andauernden Arbeiten (1988 bis 1990) konnten die gesamte Infrastruktur und Anlagen erneuert werden. Ab sofort zählte die Klinik zu den modernsten Rehabilitationseinrichtungen. Gleichzeitig konnte die Berner Klinik ihr Angebot im Bereich der Neurologie ausbauen, was auch zu einer Erhöhung der Patientenzahl führte. Insbesonders hervorzuheben ist, dass die Berner Klinik Montana eine der ersten Einrichtungen im Land war, die stationäre psychosomatische Behandlungen anbot.
Die Fähigkeit der Berner Klinik Montana, sich kontinuierlich neu zu erfinden und ihr Angebot zu diversifizieren, hat dafür gesorgt, dass sie den Patientenrückgang im Bereich Multiple Sklerose auffangen konnte, als in den 1990er-Jahren immer wirkungsvollere Behandlungen auf den Markt kamen. Können Sie ein paar Innovationen nennen, die auf dem Gelände des ehemaligen Sanatoriums entstanden sind?
Eine der Innovationen, die in den Medien viel diskutiert wurde, ist der Einsatz von Cannabis zur Behandlung von Patienten mit Multipler Sklerose. Alles hat im Jahr 1992 angefangen, als ein Patient mir erzählte, dass das Rauchen von Joints ihm half. Diese Information weckte meine Neugierde. Ich führte also erste Recherchen durch, was letztendlich zu einer grossflächigen Studie zu diesem Thema führte, die 2001 in unserer Einrichtung durchgeführt wurde. Dabei möchte ich darauf hinweisen, dass die Pflanze in Form von Tabletten eingenommen wurde. Heute ist die Wirkung von Cannabis gegen spastische Lähmungen kein Geheimnis mehr. Ein weiteres Beispiel ist der Gehroboter Lokomat®, den die Berner Klinik 2012 als eine der ersten anschaffte.
2010 hielten sich 925 Berner Patienten in der Klinik auf (gegenüber 81 Patienten aus dem Wallis und 296 Personen aus anderen Regionen). 2020 waren es nur 350 (gegenüber 557 Wallisern und 270 anderen). Was sind die Gründe für diese Veränderung?
Rund ein halbes Jahrhundert lang war die Berner Klinik neben der Klinik Walenstadtberg (SG) als Referenz in der Rehabilitation für Multiple Sklerose bekannt. Die Klinik konnte ihre Führungsposition dank ihrer Sanierung Ende der 1980er-Jahre und einer Spezialisierung im Bereich Neurologie weiter ausbauen. Der drastische Rückgang der von der Krankenkasse rückerstatteten Aufenthalte hat Auswirkungen auf die Klinik. Dies geschah aufgrund der Einführung des KVG. Auch die Anzahl der Multiple-Sklerose-Patienten, die einen Klinikaufenthalt benötigen, ist gesunken. Infolgedessen hat sich das Patientenaufkommen in den Einrichtungen im Heimatkanton verringert. Hinzu kam die Öffnung einer neurologischen Rehabilitationseinheit in Riggisberg (Kanton Bern), die für Berner Patienten näher war. Nicht zu vergessen ist die Neuorientierung der Kliniken in Leukerbad (Wallis), was dazu geführt hat, dass Patienten aus dieser Region eine Alternativlösung brauchten.
Welche Herausforderungen für die Berner Klinik Montana bringt die Entwicklung bei der Herkunft der Patienten?
Eigentlich sollte die grössere Nähe zum Patienten zu einem Rückgang der Spezialisierung führen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Die Anfragen werden immer vielseitiger. Wie bereits erwähnt, konnte die Einrichtung bereits riesige Schritte in diese Richtung machen. Die Klinik bietet Rehabilitation in den Bereichen Neurologie, innere Medizin, Onkologie, Muskuloskelettale Erkrankungen sowie Psychosomatik. Die Berner Klinik ist somit perfekt aufgestellt, um es mit zukünftigen Herausforderungen aufzunehmen.
Über 30 Jahre bei der Berner Klinik
Claude Vaney hat über 30 Jahre seiner Karriere bei der Berner Klinik Montana verbracht. Er wurde 1986 als Oberarzt angestellt und stieg 1990 zum Chefarzt der neurologischen Abteilung auf. Der zweisprachige Arzt (Deutsch und Französisch) verliess die Einrichtung Ende 2016, bevor er 2021 als medizinischer Direktor zurück kam. Seit 2023 ist er im Ruhestand.
Fotos: IAAG Architekten, Foto Schneider Thun