«Im Wasser fühle ich mich pudelwohl»

Cyril Badertscher weiss seit fast drei Jahren, dass er von Parkinson betroffen ist – einer Krankheit, die sich bei den meisten Menschen erst in höherem Alter manifestiert. Wir sprechen mit dem passionierten Sportler, kurz bevor er sein nächstes Projekt realisiert: die Seeüberquerung von Genf nach Nyon – im Wasser notabene.

Welche körperlichen Symptome waren es, die Sie im Oktober 2019 dazu bewogen haben, einen Arzt aufzusuchen?
Ich verspürte seit längerem ein Stechen in den Beinen und litt an Rückenschmerzen. Zuerst ging ich davon aus, dass ich mit meinen vielen sportlichen Aktivitäten den Bogen etwas überspannt hatte. Als ich plötzlich noch zu hinken begann, pochte meine Mutter auf einen Arztbesuch.  

Hatten Sie mit dem Befund, wie er jetzt vorliegt, zu diesem Zeitpunkt gerechnet?
In erster Linie war ich über die Diagnose erstaunt, weil ich damals Parkinson primär mit älteren Menschen in Verbindung gebracht hatte. Dass ich bereits mit 32 Jahren davon heimgesucht wurde, war harte Kost. Viel geholfen hat mir, dass ich jederzeit auf meine Familie und Freunde zählen konnte: Wir sprachen viel miteinander und uns allen war klar, dass wir da jetzt gemeinsam durchmüssen.

Welche Anpassungen waren in der Folge notwendig?
Bei der Arbeit informierte ich subito meine Vorgesetzten über die Diagnose. Wir reduzierten das Pensum von 100 auf 50 Prozent, weil ich relativ schnell ermüde. Ich bin nach wie vor im Verkauf tätig und froh, dass ich einer geregelten Arbeit nachgehen kann. Mein oberstes Ziel ist es, so normal wie möglich zu leben und so lange wie möglich zu arbeiten. Dass der Rhythmus nicht mehr der gleiche wie früher ist, muss ich akzeptieren.

Badertscher
Foto: Joël Fischer, photojf.com

Gibt es von ärztlicher Seite eine Prognose, wie sich Ihr Gesundheitszustand entwickeln wird?
Nein. Mein Neurologe hat mich darauf hingewiesen, dass kein Fall dem andern gleicht. Ich bin beispielsweise nicht vom Parkinson-typische Zittern betroffen. Dass keine präzise Prognose vorliegt, hat aber auch gute Seiten: So konzentriere ich mich ganz auf das Hier und Jetzt. Dank einer gut eingestellten Medikation kann ich im Moment sämtlichen Aktivitäten nachgehen, die mir lieb sind – im Bewusstsein, dass sich das Blatt vielleicht auch einmal wendet. Das zeigt mir der Austausch mit anderen Betroffenen, die mit den Folgen der Erkrankung teilweise hart kämpfen; physisch wie auch psychisch.

Können Sie der momentanen Situation auch gute Seiten abgewinnen?
Durchaus. Dank meiner Erkrankung habe ich in den letzten Jahren viele neue Leute kennengelernt wie unlängst an einem Anlass von Special Olympics in der Ostschweiz. Auch sportlich taste ich mich an neue Disziplinen heran.

Gibt es Tage, an denen Ihnen wortwörtlich das Wasser bis zum Hals reicht?
Ich habe erst gerade an einem Triathlon teilgenommen und von jemandem die Rückmeldung erhalten, dass es ungewöhnlich sei, was ich vollbringe. Doch ich bin keine Maschine, die immer auf Hochtouren läuft und möchte auch nicht den Vorzeige-Parkinsonpatient abgeben. In schwierigen Zeiten versuche ich, mich immer wieder aufzuraffen, denn Rückzug ist keine Lösung. Grosse Stützen sind für mich in solchen Situationen der Sport, die Arbeit und die Familie.

Welche Bedeutung hat das Schwimmen für Sie?
Vom Schwimmfieber wurde ich bereits als Zweijähriger gepackt. Später trainierte ich intensiv und absolvierte einen Wettkampf nach dem anderen. Im Wasser fühle ich mich seit jeher pudelwohl. Es trägt mich und die Schmerzen verflüchtigen sich. Hinzu kommt: Beim Schwimmen sieht man mir meine Krankheit nicht an. Und doch ist dieser Sport für Parkinson-Betroffene nicht ganz ungefährlich. Aber mit der richtigen Technik und mit Begleitung klappt es selbst in offenen Gewässern. 

Foto: Joël Fischer, photojf.com

Sie planen im Herbst die zweite Überquerung des Genfersees. Wie kam es zu dieser Idee?
Ich habe im September 2021 zusammen mit einem Freund bereits einmal den Genfersee von Nernier nach Nyon überquert – das waren fünf Kilometer. Nun stecken wir das Ziel höher: Die Etappe Genf-Nyon beläuft sich auf zwanzig Kilometer. Ich habe das grosse Glück, dass ich von einem tollen Team unterstützt werde. Nebst der sportlichen Herausforderung verfolgen wir mit der Aktion aber noch weitere Ziele: Wir wollen die Öffentlichkeit für das Thema Parkinson sensibilisieren und darauf aufmerksam machen, dass auch jüngere Menschen davon betroffen sind.

Wie bereiten Sie sich auf die zweite Seeüberquerung vor?
Ich trainiere derzeit zwei- bis viermal pro Woche im Wasser. Hinzu kommen das Konditionstraining auf dem Velo und der Kraftaufbau in der Physiotherapie.

Sie haben zusammen mit einem Freund «Parkinson Move» gegründet. Was ist Sinn und Zweck dieses Vereins?
Nach der ersten Seeüberquerung waren wir uns einig, dass unser Engagement weitergehen soll. Mit dem Verein verfolgen wir mehrere Ziele: Er hilft uns einerseits bei der Suche nach Sponsoren für unsere Aktivitäten und für die Erforschung dieser Krankheit, von der in der Schweiz rund 15’000 Personen betroffen sind. Andererseits wollen wir zu mehr Bewegung animieren und zeigen, dass man mit Parkinson leben kann.

Weitere Infos:
parkinsonmove.ch

Leben mit Parkinson

Cyril Badertscher gehört zu den weniger als zehn Prozent von Parkinson-Betroffenen, bei denen sich vor dem 40. Lebensjahr krankheitsspezifische Symptome zeigen. Der 35-jährige Sportartikel-Verkäufer absolvierte seine Lehre bei der Migros, wo er noch heute arbeitet. Zusammen mit Lauren Thévenaz, einem Wachtmeister der Genfer Kantonspolizei, legte der Waadtländer im September 2021 schwimmend die Strecke Nernier-Nyon zurück. Ein Jahr später folgte eine weitere Seeüberquerung.

Foto: Joël Fischer, photojf.com