«Handlungsfähig bleiben»

Die Berner Klinik Montana hat den Übergang in die «neue Normalität» gemeistert. Wie der Balanceakt zwischen Sicherheitsgarantie und einschränkungsfreier Rehabilitation gelang, erläutert der hygienebeauftragte Arzt Peter Lermen im Interview.

Herr Lermen, am 25. Februar informierte das BAG über den ersten
COVID-19 Fall in der Schweiz. Am 16. März folgte der gesamtschweizerische Lockdown. Sie sind Hygienebeauftragter der Berner Klinik Montana. Welche Erstmassnahmen wurden zum Schutze der Rehabilitationspatienten ergriffen?

Wir reagierten sehr schnell, um unsere Patienten vor einer möglichen Ansteckung
zu schützen. Nach schweren Operationen sind gerade sie durch COVID-19 hochgradig gefährdet. Noch bevor Massnahmen vom Kanton und Bund beschlossen wurden, sprachen wir beispielsweise ein zeitweiliges Besuchsverbot aus. Die Entwicklung wirksamer Schutzmechanismen musste sämtliche Bereiche eines Rehabilitationsaufenthalts berücksichtigen – von der medizinisch- therapeutischen Behandlung, über die Unterbringung bis hin zu den externen Dienstleistenden. Seit der Schweingrippe im Jahr 2009 sowie den stärkeren Grippewellen in den Wintermonaten 2016/2017 besitzt die Berner Klinik Montana eine Pandemieplanung und Schutzkonzepte. Diese Grundlagen passten wir den aktuellen Erkenntnissen zum neuartigen Coronavirus an. Ziel war es, unseren Patienten die grösstmögliche
Sicherheit vor dem Virus zu gewährleisten und Therapien weiterhin anbieten zu können.

Mit Erfolg?

Bislang wurde kein Patient und auch keine Mitarbeiter*in in der Klinik positiv auf das Virus getestet. Auch kein Fall einer Krankheitsübertragung wurde bei uns nachgewiesen. Wären die umliegenden Spitäler an ihre Belastungsgrenzen gestossen, hätten wir – isoliert und unter hohen Sicherheitsauflagen – an COVID-19 erkrankte Patienten mit milden Verläufen bei uns aufnehmen können. Bis heute war dies jedoch nicht notwendig.

Die Spitäler setzten in Folge des Lockdowns nicht lebensnotwendige Operationen aus. Fielen damit auch die Rehabilitations-Therapien weg?

Aus medizinischer Sicht verzeichnen wir die besten Therapieerfolge, wenn Patienten unverzüglich die Rehabilitation antreten. So verringert sich auch das Risiko von Komplikationen, die etwa durch fehlende Bewegung hervorgerufen werden können. Auch wir spürten den allgemeinen Druck, der auf dem Gesundheitswesen lastete. Konkret verzeichneten wir rückläufige Patienteneintritte, wenn keine Dringlichkeit zum unmittelbaren Therapiebeginn bestand. Dies betraf zum einen wiederkehrende Patienten, die jährlich ein 3-wöchiges Therapieprogramm in der Berner Klinik Montana absolvieren. Zum andern waren viele Patienten durch die rasch steigenden Fallzahlen in der Schweiz verunsichert. Sie hielten es für zu riskant, in die Rehabilitation zu gehen.

Wie begegneten Sie dieser allgemeinen Verunsicherung? Gerade bei Hochrisikopatienten sind diese Ängste durchaus nachvollziehbar.

Wir legten grossen Wert darauf, die getroffenen Schutzmassnahmen klar
nach aussen zu kommunizieren und einen ständigen Informationsfluss für Patient*innen, ihre Angehörigen sowie die zuweisenden Ärzte bereitzustellen.
Nebst der direkten Kontaktaufnahme in brieflicher oder elektronischer Form
wird unsere Website laufend aktualisiert. Zudem vermitteln wir in allen Gebäuden
und auf allen Stockwerken der Klinik die geltenden Verhaltensregeln auf gut sichtbaren Monitoren.

Die epidemiologische Situation in der Schweiz verändert sich kontinuierlich. Wie hält sich die Klinik auf dem neuesten Stand?

Jeder Arbeitstag beginnt und endet damit, dass wir uns auf den Websites des SECO, des Bundesamts für Gesundheit, der Kantonsarztämter Wallis und Bern
sowie dem Nationalen Zentrum für Infektionsprävention, Swissnoso, und weiteren Fachgesellschaften informieren. So können wir deren Empfehlungen schnellstmöglich umsetzen.

An vorderster Front – die Mitarbeitenden.

Damit die Verhaltensmassnahmen flächendeckend angewendet werden und erfolgreich sind, muss jede*r Einzelne am gleichen Strang ziehen – was auch geschehen ist. Die Mitarbeitenden leisten Tag für Tag Grossartiges! Seit dem Ausbruch der Pandemie stellen sie sich äusserst flexibel auf die «neue Normalität» ein. Unsere Fachkräfte prägen und tragen die neuen Sicherheits- und Hygienemassnahmen aktiv mit, indem sie praxistaugliche und konstruktive Vorschläge einbringen.

«Wir haben die Patientenzufriedenheit und Patientensicherheit in Einklang gebracht.»

Peter Lermen, hygienebeauftragter Arzt und Mitglied der COVID-19-Taskforce der Berner Klinik Montana.

Die Berner Klinik Montana hat eine eigene «COVID Task Force» ins
Leben gerufen. Welche Aufgaben erfüllt diese neue Einheit?

Die COVID Task Force besteht aus der Klinikleitung, der Pflege und weiteren
Bereichsleitenden der Hotellerie, der Gastronomie und des Facility Managements. Zu Beginn der Pandemie analysierten wir die epidemiologische Situation
täglich, nun findet einmal in der Woche eine Lagebesprechung statt. Dieser Austausch war und ist uns sehr wichtig, damit wir als Rehabilitationsklinik handlungsfähig bleiben und auf neue medizinisch-therapeutische, gastronomische und weitere Herausforderungen reagieren können.

Inwiefern wurde das umfassende Leistungsangebot infolge der COVID-19-Pandemie reorganisiert?

Die Ärztevisiten sowie sämtliche Therapien mussten zeitlich neu koordiniert werden, inhaltlich revidiert und zum Teil auch technisch angepasst werden. Es ist uns ein zentrales Anliegen, dass Patienten während dem Therapieaufenthalt keine deutlichen Einschränkungen wahrnehmen. Trotz der obligatorischen Maskenpflicht gehen sie einem geregelten Tagesablauf nach und sind gleichzeitig optimal geschützt. Die Hippotherapie, Aktivitäten im Schwimmbad oder medizinische Massagen wurden zeitweilig ausgesetzt bis wir eine Wiederaufnahme mit sicheren Hygiene- oder Distanzregeln verantworten konnten. Hauptsächlich reduzierten wir die Gruppenangebote oder verlegten sie in den Sommermonaten
wann immer möglich ins Freie. Mittlerweile bieten wir Gruppenprogramme für fünf statt zehn Personen an. Die Teilnehmerzahl wurde zwar halbiert, die Gruppenzahl jedoch verdoppelt, damit wir den Bedarf abdecken können. Derzeit konzentrieren wir uns auf Einzeltherapien und haben diese Angebotspalette weiter ausgebaut. Patient*innen profitieren nun von einer 1:1-Betreuung durch die Therapeut*innen.
Wenn man diese Ausgangslage berücksichtigt, erhalten sie mehr und individuellere Zuwendung bei gleichbleibend hohem Qualitätsniveau.

Bedeutete dies auch räumliche Umstrukturierungen?

Einerseits haben wir neue Therapieräume erschlossen, andererseits wurden Trainings- und Therapiegeräte weiter auseinandergestellt. Neu teilen wir Räume, in denen früher verschiedene Rehabilitationsprogramme angeboten wurden, nach klar definierten Therapiezielen wie «Ausdauer», «Medizinische Trainingstherapie» oder «Kraft» auf – das schafft mehr Klarheit für die Patienten wie auch die Klinikmitarbeitenden. Rückblickend entwickelte sich das krisenbedingte Change-
Management zu einer Chance, etablierte Prozesse und Abläufe kritisch zu überdenken und zum Wohle der Patient*innen effizienter zu gestalten.

Woraus schöpfen Sie Kraft?

Die Coronakrise und der Übergang in die «neue Normalität» ist eine herausfordernde Zeit für uns alle. Wir sind stolz darauf, dass wir die Patientenzufriedenheit und Patientensicherheit in Einklang bringen konnten. Was uns antreibt, bleibt immer dasselbe: Wenn jemand nach seinem Aufenthalt in der Berner Klinik Montana seine Fähigkeiten wiedererlangt und dadurch mehr Lebensqualität gewinnt– daraus schöpfen wir Kraft.