Grenzenlos lebensmutig

Aus dem Rollstuhl zurück auf die Zirkusbühne. «Es fühlte sich wie eine Wiedergeburt an», sagt Silke Pan. Foto: Mathias Azéronde.

Nach einem schweren Sturz vom Trapez im Jahr 2007 begann für die Zirkusartistin Silke Pan ein neues Leben im Rollstuhl. Seither hat sie sich als Unternehmerin, Lifecoach und Sportlerin auf Weltniveau neue Wege eröffnet. Im Winter 2021 ist sie in Moudon wieder auf die Zirkusbühne zurückgekehrt.

Die Prognose, nie mehr laufen zu können, muss niederschmetternd gewesen sein. Was hat Ihnen in der Reha geholfen, mit diesem Schicksalsschlag umzugehen?

Die ersten drei Monate kämpfte ich gegen die Schmerzen, die das schwere Schädel-Hirn-Trauma des Unfalls verursachte. Ich konnte weder Licht noch Geräusche ertragen. Doch es ging wieder aufwärts. Als Artistin hatte ich gelernt,
negative Einflüsse auszublenden und mich auf die besonderen Bühnenmomente zu konzentrieren, die man dem Publikum schenken möchte.

Wie kam Ihnen diese Haltung zugute?

Obwohl ich nach dem Unfall meine gelähmten Beine und mein Becken nicht mehr spürte, konnte ich aus dem Fenster schauen und mich an einem sonnigen Tag erfreuen. Diese Lebenseinstellung hat mir sehr geholfen. Im Schweizer Paraplegikerzentrum in Nottwil half mir in der ersten Genesungsphase auch eine Gesprächstherapie.

Sie fassten neuen Lebensmut.

Durch den Unfall rückten all meine Träume, die ich mir als Artistin vorgenommen hatte, in scheinbar unerreichbare Ferne. Doch es war klar für mich, dass ich meinem Leben wieder einen Sinn geben und mir Ziele setzen wollte. Als Neu-Paraplegikerin bestand die erste Herausforderung darin, die Signale meines Körpers wieder richtig deuten zu können.

Wie haben Sie es geschafft, Ihr Handicap zur Stärke umzuwandeln und dabei sportlich und künstlerisch über sich hinauszuwachsen?

In der Reha hatte man mich an das Handbike herangeführt. Es handelt sich um ein Fahrrad, das man mit kreisenden Armbewegungen fortbewegt. Dieses Sportgerät gab mir viele Freiheiten zurück: Ich konnte schneller weitere Strecken als mit dem Rollstuhl zurücklegen. Nach Monaten im Spital tat mir die frische Luft unendlich gut. Ich empfand meinen Körper nicht mehr als beeinträchtigt, sondern spürte die sportliche Anstrengung in den Muskeln – wie vor dem Unfall. Während des Lockdowns versuchte ich mich wieder an Handständen – zuerst als reines Krafttraining. Als ich mithilfe einer stabilisierenden Eisenstange selbstständig meinen Körper ausbalancieren konnte, fühlte es sich wie eine «Wiedergeburt» an. Nachdem ich Videos davon auf den Sozialen Medien geteilt hatte, wurde ich zu einer Zirkusdarbietung ermutigt, die ich in der Weihnachtszeit 2021 in Moudon präsentierte.

Seit 2016 sind Sie an der Entwicklung eines tragbaren «Exoskeletts» beteiligt, das Gehbewegungen in elektronische Impulse übersetzt und in der Reha zum Einsatz kommen soll. Wie wichtig ist es Ihnen, anderen Menschen Mut zu machen?

Ich will Menschen zeigen, dass man über schlimme Erfahrungen hinwegkommen kann. Auch wenn man meint, man hätte alles verloren, kann man mit Sport, künstlerischen, sozialen oder beruflichen Aktivitäten wieder neuen Halt gewinnen.

Mit dem Exoskelett lassen sich Treppen steigen und andere Hindernisse überwinden.

Silke Pan – eine inspirierende Lebensgeschichte

Tanz, Akrobatik, Musik und Theater – bereits in frühester Kindheit ist Silke Pan immer in Bewegung. Sie besucht Zirkusschulen in der Schweiz und Berlin und tritt als Artistin mit Trapez-, Kontorsions- und Handstand-Nummern auf. 2007 bricht sie sich bei einem Sturz vom Trapez den 10. und 11. Brustwirbel. Silke Pan wird Paraplegikerin. Nach ihrer Rehabilitation gründet sie mit ihrem Lebenspartner Didier Dvorak das Ballon-Dekorationsunternehmen Cannibaloon und feiert als Handbike-Athletin sportliche Erfolge auf Weltniveau. Heute ist sie eine gefragte Artistin, Coachin und Referentin (u. a. TEDx).

Mehr zu Silke Pan und ihren aktuellen Projekten erfahren Sie unter: www.silkepan.com