Expertenmeinung: Wege zur Behandlung chronischer Schmerzen

Chronischer Schmerz steht im Gegensatz zu akutem Schmerz, der ein Warnsignal ist. Aus diesem akuten Warnsignal heraus kann ein komplexes Problem entstehen, bei dem die Ursache oder der Auslöser immer unbedeutender wird. Hingegen treten körperliche Funktionsstörungen (Muskelverspannungen, Fehlhaltungen, vegetative Regulationsstörungen), Stimmungsveränderungen (Wut, Traurigkeit, Angst) und soziale Probleme (Arbeit, Familie, Wohnsituation, Finanzen) auf, die sich gegenseitig verstärken. Dies erklärt, warum es keine einfachen Lösungen gegen chronischen Schmerz gibt und warum die Betroffenen so ausgeprägt beeinträchtigt sind.

Bei der Behandlung ist der Patient der wichtigste Akteur. Denn es gibt Wege, um das Problem zu bewältigen oder zumindest zu verringern, indem man lernt, trotz Schmerzen wieder besser zu leben, zu geniessen und zu arbeiten. In vielen Fällen werden die Schmerzen dadurch deutlich reduziert oder verschwinden sogar ganz, wie Nachuntersuchungen bei uns im Paraplegiker-Zentrum gezeigt haben. Zudem nehmen die Patienten eindeutig weniger Medikamente! Der beste Tipp, den ich Betroffenen mitgeben kann, ist, Techniken zu erlernen, um die Kontrolle über sich, seinen Körper und über den Schmerz zu erlangen. Das reicht von Entspannungstechniken, über Muskeltraining, die Anwendung von transkutaner elektrischer Nervenstimulation (TENS), Kneipp-Güssen etc. bis hin zu Verhaltensänderungen und Schlafhygiene. Auch Medikamente können dabei hilfreich sein.

Die sogenannte multimodale Schmerzbehandlung, also die sinnvoll kombinierte, auf das Problem abgestimmte Behandlung durch verschiedene Behandlungsformen und Therapeuten (Ärzte, Psycho- und Physiotherapeuten, und andere mehr) kann in der stationären Rehabilitation gut umgesetzt werden. Ausserdem kann durch die Distanz zum Alltag manches Problem besser reflektiert und manches Verhalten leichter verändert werden.

Dr André Ljutow, MSc
ist seit 2004 am Zentrum für Schmerzmedizin im Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil tätig, welches er seit 2013 leitet. Von November 2014 bis November 2017 war er Präsident der Schweizerischen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes SGSS/SSED. Sein Studium hat er an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn absolviert.