Expertenmeinung: Der Umgang mit psychosomatischen Störungen

Psychosomatische Störungen beschäftigen das Schweizer Gesund- heitssystem: Gemäss Studien leidet gut ein Viertel der Bevölkerung unter psychogenen Störungen, also unter somatischen Erkrankun- gen mit Beteiligung von psychosozialen Faktoren. 7 Prozent dieser Fälle gehören zu den somatoformen Störungen: körperlichen Symp- tomen wie Schmerzen, für die keine organische Ursache gefunden werden kann. Als Definition scheinbar einfach, sind diese Befunde oft Resultat langwieriger Ausschlussdiagnosen. Bevor eine Fachärztin oder ein Facharzt eine psychosomatische Störung feststellt, haben Betroffene oft mehrere Stationen und Therapieansätze erlebt.

Dabei existieren heute Therapiemöglichkeiten für psychosomati- sche Störungen. So haben gerade bei psychosomatischen Schmerz- störungen ambulante Behandlungen in spezialisierten Kliniken oft Erfolg. Vielversprechend sind auch moderne Therapieansätze, wel- che direkt auf einzelne Ursachen zielen – wie zum Beispiel Achtsam- keitstraining. Liegt eine funktionale Störung vor, also eine starke Beeinträchtigung des Alltags, schlägt die Stunde der stationären Rehabilitation. In kurzer Zeit profitieren die Patientinnen und Patien- ten dort von intensiven Therapien. Gerade multimodale Konzepte, die neben psychologischer Behandlung Patientinnen und Patienten durch Bewegung aktivieren, haben grosses Potenzial.

Oft wird psychosomatischen Störungen mit Vorurteilen begegnet. Was nicht physisch feststellbar sei, existiere nicht, heisst es. Hilflo- sigkeit entsteht. Darunter leiden Psychosomatik-Patientinnen und -Patienten zusätzlich, und früher oder später beginnt auch deren Umfeld, mitzuleiden. Dieses Leiden ist nicht die Schuld der Patientin- nen und Patienten, doch fängt die Lösung bei ihnen an: eine Therapie durch spezialisierte Abteilungen. Dabei darf nicht vergessen wer- den, dass nicht jede psychosomatische Störung komplett therapiert werden kann. Oft bleiben die Symptome bestehen. Jedoch können spezifische Ansätze wie Akzeptanz- oder Commitment-Therapien helfen, mit den Symptomen im Alltag zu leben.

Prof. Dr. Phil Chantal Martin Sölch

ist Professorin für klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie am Departe- ment für Psychologie der Universität Freiburg. Zuvor war sie leitende Psychologin und Leiterin der Forschungsabteilung des Departements für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsspitals Zürich. Zu ihren Forschungsinteressen gehören Schmerzen und die Zusammen- hänge von psychischen Symptomen und deren biologischen Grundlagen.