Der Gipfelstürmer
Miguel Gregori setzt sich hohe Ziele: Ob an der Kletterwand
oder in der Logopädie, der in Genf lebende Jurassier,
dessen Parkinson-Symptome in der Berner Klinik Montana
behandelt werden, übertrifft sich selbst.
«Und jetzt mit dem linken Arm zum nächsten Griff.» Die Muskeln von Miguel Gregori spannen sich am ganzen Körper an, während er sich an einem der zahlreichen farbigen Griffe an der ca. 5 Meter hohen Kletterwand in die Höhe zieht. Dem 53-Jährigen steht die Anstrengung ins Gesicht geschrieben.
Die Klettertherapie in der Berner Klinik Montana verlangt ihm viel ab: Das intensive Ganzkörpertraining erfordert Konzentration, Kraft und Ausdauer und auch die emotionale Belastung ist hoch. Halt gibt ihm nicht nur sein erfahrener Therapeut Raphaël Magnin, der ihn mit ruhiger Stimme anleitet und am Seil sichert, sondern auch durch die Gewissheit, dass er in der Klinik das nötige Rüstzeug erhält, um den Umgang mit seiner Krankheit zu erlernen. Miguel Gregori hat ein aufregendes und abwechslungsreiches Leben hinter sich: «Ich stamme aus einer Künstlerfamilie. Mein Vater war Uhren- und Schmuckdesigner. Nachdem ich die École des Beaux Arts in Sion abgeschlossen hatte, sattelte ich mit einem EFZ in den Detailhandel um», erzählt er uns nach dem therapeutischen Klettern, als wir ihn zum Interview auf dem sonnigen Balkon seines Zimmers treffen. «Ich arbeitete zuerst als Plattenhändler für eine kleine Westschweizer Ladenkette, dann bei einem Grossverteiler in der Abteilung CD und DVD. Ich war auch aktiver Blogger und schrieb später Artikel für Websites. Ich habe immer alles gegeben!», erinnert er sich.
Bis 2014: «Zu dieser Zeit war ich ständig müde und konnte mich von diesen
Erschöpfungszuständen kaum erholen.» Sein Hausarzt ordnete schliesslich
ein MRI des Schädels an. Die Resultate zeigten jene Störungen im Mittelhirn,
die auf eine tückische Krankheit hinweisen und bei Miguel Gregorie Symptome
wie Zittern und Sprechstörungen hervorrief. Die Diagnose lautete: Morbus Parkinson. «Am Anfang bekam ich meine Symptome mit Medikamenten gut in den Griff», stellt Miguel Gregor rückblickend fest. Aufgrund zahlreicher Umstrukturierungsmassnahmen bei seinem Arbeitgeber wurde der Druck immer grösser, sodass er seine Stelle aufgeben musste. Seit zwei Jahren lebt er von den Leistungen der IV. Der gross gewachsene Mann mit der schwarzen Brille hat seine Krankheit akzeptiert. Sie ermögliche ihm auch positive Dinge: «Es freut mich, dass ich jetzt wieder Zeit für die Malerei und Musik habe, und zwischendurch unter Freunden kleine Auftritte als DJ machen kann. Die vielfältige Tanzmusik der 1950er und 1960er-Jahre fasziniert mich. Beim Durchstöbern der alten Plattensammlungen oder beim Surfen im Internet weiss ich nie genau, auf welche musikalischen Schätze ich stossen werde. So habe ich zum Beispiel die italienischen Canzoni von Mina und Adriano Celentano kennengelernt, aber auch unbekanntere Vertreter des französischen Chansons.»
Hilfe zur Selbsthilfe
Während seiner dreiwöchigen Therapie in der Berner Klinik Montana hat Miguel
Gregori eine neue Leidenschaft entdeckt. Nach seinem Eintritt absolvierte er eine Reihe von Therapien, so das Schwimmen oder das Nordic-Walking. «Die Therapeuten achten darauf, die richtige Balance zu finden, damit ich gefordert, aber nicht überlastet werde», resümiert er. In den zahlreichen individuellen und Gruppen-Trainings hätten die Klinik-Therapeuten seine persönlichen Bedürfnisse und Interessen berücksichtigt und kein standardisiertes Trainingsprogramm angewandt. «Ich schätze dies sehr», betont er. Eine Aktivität hat es Miguel Gregori besonders angetan: «Das Klettertherapie ist einfach genial! Ich bin vorher nie geklettert, das war für mich etwas komplett Neues», erzählt er begeistert.
Damit sein Stimmvolumenwieder zunimmt, übt Miguel Gregori zudem viermal wöchentlich bei einer Logopädin. Beim sogenannten Lee Silverman Voice Treatment® (Speech und BIG) muss er beispielsweise einen Ton möglichst laut und lange halten. Die Dauer und das Stimmvolumen werden mit einem Mikrofon aufgezeichnet und genau analysiert. Bereits nach zwei Wochen hat er deutliche Fortschritte erzielt. «Viele der Übungen aus den verschiedenen Therapiesitzungen kann ich auch bei mir zuhause durchführen.» Trotz der intensiven Therapie herrsche in Crans-Montana Ferienstimmung. Von seinem Balkon aus habe er eine Postkarten-Aussicht auf die umliegenden Berggipfel. «In der Klinik habe ich wieder zu mir selbst gefunden und es haben sich mir neue Perspektiven eröffnet.»