Als der Berg heilend wirkte

Die Geschichte der Berner Klinik Montana steht in direkter Verbindung mit Bergsanatorien sowie der Dynamik eines gewissen Doktor Stephani. Zurück in die Vergangenheit in Begleitung des Medizinhistorikers Vincent Barras.

Die Aussicht aus den Zimmern der Berner Klinik Montana hat sich seit den 1940er Jahren nicht wesentlich verändert. Der Komfort hingegen ist gestiegen.

Crans-Montana, 1893. Das Hôtel du Parc, das erste seiner Art auf dem Haut-Plateau, wird eingeweiht. Ein paar Jahre später bringt ein Genfer Arzt, Théodore Stephani, hier Patienten hin. Dieser Pionier und Visionär stellt die Weichen für die Positionierung von Crans-Montana als Kurort. Beziehungsweise als Reiseziel schlechthin.

Die heutige Berner Klinik Montana ist eine Fortsetzung der Aktivitäten des unermüdlichen Dr. Stephani. Unter seinem Einfluss wird 1899 ein Sanatorium mit dem Namen Beauregard errichtet. Diese Einrichtung geht schnell bankrott und wird von Engländern aufgekauft, die sie in einen Palast verwandeln. Nach der Krise im Jahr 1929 wird das Gebäude weiterverkauft und es entsteht das Hotel Bellevue. Nach dem Zweiten Weltkrieg ersteht der Kanton Bern das Gebäude einschliesslich der benachbarten Liegenschaften. Im Herbst 1949 wird nach aufwändigen Umbauarbeiten die therapeutische «Clinique Bellevue de Montana» als alpines Behandlungszentrum für Tuberkulose­patienten eingeweiht.

Tourismus und Gesundheit Hand in Hand

«Der Erfolg des Sanatoriums, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts seinen Höhepunkt feierte, reicht bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Er basiert auf der Idee, dass Umwelteinflüsse einen entscheidenden Einfluss auf eine Therapie haben können, insbesondere bei Schwäche, psychischen Problemen oder Essstörungen, Blutarmut usw.», berichtet Vincent Barras. Der Medizinhistoriker erklärt, dass nicht nur das Klima in den Bergen als positiv für die Behandlung von überwiegend chronischen Krankheiten angesehen wurde. «Im selben Zeitraum wurden auch in der Wüste oder am Meer Kliniken errichtet.» Da lag es auf der Hand, dass die Schweiz sich auf hoch gelegene Kliniken spezialisierte, insbesondere für Tuberkulosepatienten. «Bei uns haben sich einige Bergorte auf die sogenannte Orotherapie spezialisiert, was vom Griechischen «oros», (Berg) kommt», fährt der ehemalige Leiter des «Institut des humanités en médecine» der Universität Lausanne fort. Dank seiner atemberaubenden Aussicht und der sonnigen, windgeschützten Lage, aber «auch dank der Dynamik von Théodore Stephani und des Vertrauens der Finanzinvestoren», konnte Crans-Montana sich zum Mekka für Sanatorien entwickeln. In den 30er- und 40er-Jahren fand man auf dem Hochplateau eine grosse Konzentration an Kurorten. Der Spezialist nennt auch Leysin, Davos, Arosa und St. Moritz. Hier mischt sich die therapeutische ­Tätigkeit mit Tourismus. «Dabei ist es interessant anzufügen, dass die Beziehung zwischen Tourismus und Gesundheit schon immer eine Hassliebe war. Diese Ambivalenz bleibt weiter bestehen.»

«Die Beziehung zwischen ­Tourismus und Gesundheit war schon immer eine Hassliebe und diese Ambivalenz ­besteht bis heute weiter.»

Vincent Barras

Sich immer wieder neu erfinden

Es wurden zahlreiche wissenschaftliche Studien durchgeführt, um die Wirksamkeit der Höhenlage – und der trockenen Luft – gegen Tuberkulose und für eine gute Durchblutung zu beweisen. Man muss sagen, dass diese Sanatorien «schon immer Kritiker hatten», merkt Vincent Barras an. Hinzu kommt, dass mit der zurückgehenden Beliebtheit von Bergkliniken in den 1950er Jahren aufgrund der Einführung von Tuberkulosemedikamenten immer noch «keine Klarheit über die genauen Ursachen der positiven Wirkung einer Höhenlage auf die betroffenen Patienten bestand.» Der schwindende Erfolg stellte zudem eine echte Herausforderung für die Bergkliniken dar, die sich – «mehr oder weniger erfolgreich» bemühten, sich neu zu erfinden, um den Rückgang von Tuberkulosepatienten auszugleichen. Allein in Montana gab es neben den fünf grossen Sanatorien rund 20 bis 30 kleinere Einrichtungen. «Viele mussten in den 1960er-Jahren schliessen, andere wiederum wurden zu Hotels umgebaut.

Der Fall der Berner Klinik Montana ist etwas besonders, unterstreicht der Medizinhistoriker. «Vielleicht hatte man hier noch mehr als anderswo den Wunsch, das Ruder in der Hand zu behalten und eine therapeutische Tätigkeit aufrechtzuerhalten.» Einerseits war die Einrichtung aus historischen Gründen eines der ersten Sanatorien seiner Art in Montana. Zum anderen gab es finanzielle Gründe, denn die Investitionen für den Umbau des Gebäudes waren noch relativ neu. «Indem die Klinik eine Diversifizierung und Neuausrichtung ihres therapeutischen Angebots auf neurologische Behandlungen beschloss, setzte sie einen Meilenstein.» Vincent Barras fügt hinzu, dass «die Einrichtung auch anschliessend eine beeindruckende Fähigkeit beweisen konnte, sich immer wieder neu zu erfinden und die notwendigen finanziellen Mittel aufzubringen.»

Und was erinnert heute noch an das Goldene Zeitalter der Sanatorien in Crans-Montana? «Das Erbe dieser Kliniken ist der Kurort selbst, der Alpentourismus», sagt Vincent Barras. «Der tief verankerte Wunsch nach einer Luftveränderung ist weiterhin eine Motivation für Talbewohnerinnen und -bewohner, sich in die Berge zu begeben.»

Fotos: Archiv Berner Klinik Montana