Aktiv gegen Parkinson
Aktivierende Therapien erzielen die grössten Behandlungserfolge bei Parkinson-Patienten. Mit welchen Programmen können die Patienten in
der Berner Klinik Montana mehr Selbstständigkeit erlangen? Marilyne
Berthet, Leiterin Physiotherapie und Sporttherapie gibt Auskunft.
In seinem Buch «An Essay on the Shaking Palsy» beschrieb der Londoner Arzt James Parkinson 1817 erstmals seine Erkenntnis, dass Zittern und Bewegungsstörungen Symptome derselben Hirnerkrankung sind, die später nach ihm benannt wurde. Die genauen Ursachen von Parkinson sind bis heute nicht bekannt. Allerdings weiss man, dass bei Parkinson-Betroffenen eine Struktur im Mittelhirn geschädigt ist, welche die Bewegungen steuert. Betroffene leiden unter motorischen, aber auch kognitiven Krankheitssymptomen. Weltweit leben rund 10 Millionen Menschen mit Parkinson, davon 15 000 in der Schweiz. Hauptsächlich sind Männer betroffen, auch das Alter spielt eine wichtige Rolle. In der Regel erkranken sie nach dem 60. Lebensjahr, nur vereinzelt tritt Parkinson bei jüngeren Personen auf.
Marilyne Berthet: Der sog. «Tremor», das unkontrollierte Zittern, ist das bekannteste Symptom dieser Krankheit. Welche weiteren treten auf und wie verläuft die Krankheit normalerweise?
Bei der Parkinsonkrankheit sind drei Merkmale kennzeichnend: Erstens gibt es den sogenannten «Ruhetremor». Der Patient zittert nur solange er in einer Ruheposition verbleibt. Sobald er sich bewegt, hört der Tremor auf. Zweitens kommt es zu einer Muskelstarre, wobei sich zum Beispiel die Körperhaltung versteift und die Lebhaftigkeit der Gesichtszüge abnimmt. Und drittens hemmt die Krankheit die natürlichen Bewegungsabläufe und beeinträchtigt den Gleichgewichtssinn. Zum Beispiel schwingen die Arme beim Gehen nicht mehr automatisch mit, die körpereigenen Reflexe sind verlangsamt. In der Berner Klinik Montana behandeln wir nicht nur motorische Störungen mit Physiotherapie und sporttherapeutischen
Aktivitäten. Die Logopädie lindert beispielweise häufig auftretende Schluckbeschwerden, verhilft zu mehr Stimmvolumen und stärkt die Gesichtsmuskulatur. Die Behandlung ist sehr komplex und muss all diesen Aspekten Rechnung tragen. Deshalb setzt die Berner Klinik Montana auf multidisziplinäre therapeutische
Ansätze, die sich an den individuellen Beschwerden der Patienten orientieren.
Parkinson gilt als unheilbar. Wie wird die Krankheit behandelt und welchen Stellenwert nimmt die Rehabilitation dabei ein?
Rehabilitationsmassnahmen nehmen einen wichtigen Platz ein. Das breite Therapieangebot der Berner Klinik Montana kombiniert Physiotherapie und Sporttherapie mit Logopädie und Ergotherapie und bezieht Kunst- und Musiktherapie mit ein. Dadurch können wir die Selbstständigkeit der Patienten verbessern und die Symptome lindern.
Die Therapien der Berner Klinik Montana basieren auf dem aktuellen Stand der internationalen Forschung.
Wir legen grossen Wert darauf, die Qualität unserer Therapien laufend zu steigern. Der führende amerikanische Physiotherapie-Verband hat 2021 neue Behandlungsempfehlungen für Parkinson- Patienten herausgegeben: Zahlreiche
aktuelle Studien belegen, dass sich aktivierende Therapien, wie wir sie in der Berner Klinik Montana anbieten, langfristig positiv auf den Verlauf auswirken und die medikamentöse Wirkung bereits im frühen Krankheitsstadium massgeblich unterstützen können.
Seit Februar 2020 leiten Sie die Physio- und Sporttherapie der Berner Klinik Montana. Zuvor bereiteten Sie Athleten auf Wettkämpfe vor, heute koordinieren Sie als Rehabilitationsexpertin unter anderem die Behandlugn von Parkinson-Patienten. Wie unterscheidet sich Ihre Tätigkeit von damals von Ihren heutigen Aufgaben?
Das therapeutische Vorgehen ist bei einem Parkinson-Patienten ähnlich wie bei einem Spitzensportler: Wir bieten auf die Bedürfnisse der Person angepasste Leistungen an, die die neusten Best-Practice-Empfehlungen berücksichtigen. Die Trainingsanforderungen von Spitzensportlern wie Regelmässigkeit, Intensität und Kontinuität lassen sich durchaus auf die Rehabilitation eines Parkinson-Patienten übertragen und sind sogar empfohlen. Die Anstrengungen, die Parkinson- Patienten täglich unternehmen, sind letztendlich vergleichbar mit denjenigen eines Spitzensportlers.
Welche spezifischen Therapieformen bietet die Berner Klinik Montana an und welche Infrastruktur steht den Patienten zur Verfügung?
In der Physiotherapie und der Sporttherapie sind verschiedene Elemente zentral: Wichtig ist es dabei zu verstehen, dass bei sämtlichen Aktivitäten ein klares therapeutisches Ziel im Vordergrund steht und es sich nicht etwa um reguläre Fitnesstrainings handelt. Um die Ausdauer zu trainieren und eine regelmässige Bewegung zu gewährleisten, eignet sich das Laufband und Nordic-Walking. An der frischen Bergluft können die Nordic-Walking- Gruppen den Rundweg um den
kleinen See neben der Klinik wählen oder die umliegenden Wälder in Begleitung
eines Therapeuten entdecken. Parkinson-Patienten haben häufig Gleichgewichtsstörungen, die wir mit gezielten Trainings verbessern können. Zum Beispiel besteht der Dividat Senso aus einer sensorischen Platte, die von einem Stützgeländer umgeben ist. Dieses interaktive Hightech-Trainingsgerät gibt wechselnde Schrittfolgen vor, die vom Trainierenden ausgeführt werden. Auf spielerische Art und Weise kann dadurch an der Haltung und dem Gleichgewicht gearbeitet werden. Für Patienten mit einer grösseren Beeinträchtigung gibt das Vector-System
zusätzlichen Halt. Dabei legen wir dem Patienten ein elektronisch gesteuertes Gurt- und Haltesystem an. Der Vector ist eine sichere Lösung, um Übungen
ohne Sturzgefahr zu absolvieren. Zudem bauen Parkinson-Patienten bei uns gezielt ihre Muskulatur auf und arbeiten an ihrer Kondition. Sie können zum Beispiel die Klettertherapie und therapeutisches Schwimmen in einem grosszügigen Hallenbad besuchen, seit neustem bieten wir auch die Yogatherapie an.
Yoga besteht aus Übungen die die Körperbeherrschung, Konzentration und Entspannung verbessern. Welches Potenzial hat diese neue Therapieform?
Gemäss unserer Therapeutin Pauline Aubertin ist die Yogatherapie in Australien,
Italien oder Kanada bereits etabliert. Die Berner Klinik Montana bietet dieses Rehabilitationsprogramm als eine der ersten Kliniken in der Schweiz an. Die Parkinson-Patienten beginnen mit Atemübungen, weil ihre verkrampfte Muskulatur eine freie Atmung verhindert. Und wir arbeiten auch an einer stabileren Haltung der Wirbelsäule und verbessern die Beweglichkeit der Hüfte und des Rumpfes der Betroffenen. Alle Übungen können mit oder ohne Yoga-Matte sowie sitzend auf einem Stuhl durchgeführt werden. Diese Therapie eignet sich auch für Patienten mit Multipler Sklerose oder Personen im Rollstuhl. Es ist ein grosser Erfolg, wenn ein Patient wieder tief durchatmen kann und seine Bewegungen fliessender und kontrollierter werden.
Parkinson-Patienten kommen mit unterschiedlichen Problemen zu Ihnen. Wie stellt man ein individuelles Programm zusammen, das ihre Lebensqualität nachhaltig erhöht?
Jeder Patient ist einzigartig. Nach der Aufnahme definieren unsere Ärzte und
Therapeuten gemeinsam mit dem Patienten die Therapieprogramme, die ihm
entsprechen und setzen realistischen Ziele, die er in den durchschnittlich drei bis vier Wochen seines Klinikaufenthalts erreichen möchte. Indem die Patienten verschiedenste Therapieangebote austesten können, finden sie ein passendes Training, das sie persönlich und körperlich weiterbringt und ihnen Freude bereitet. Manche Patienten meinen, dass die Krankheit ihnen jegliche körperliche Aktivität verunmöglicht. Wenn sie erkennen, wie viele Möglichkeiten ihnen offenstehen und was sie mit Training und Motivation erreichen können, ist das auch für das Therapie-Team ein Erfolgserlebnis.