Wild entschlossen

Sandra Wild, berufstätig, verheiratet und Mutter von zwei Mädchen kam mit starken körperlichen Schmerzen in die Berner Klinik. Die Gründe dafür waren jedoch seelischer Natur. Während ihrer psychosomatischen Rehabilitation hat sie sich mit Mut und Kraft ins Leben zurück gekämpft.

Sandra Wild (1977) ist eine beeindruckende Frau: gross, sportlich, mit schwarzen Haaren und ausdrucksvollen schwarzen Augen. Sie ist freundlich und hilfsbereit. Zu allen. Und zwar von Herzen. Das macht wohl auch eine ihrer Stärken aus: Sie geht auf andere Menschen zu und vermag es, sie mit ihrer Energie anzustecken, zu motivieren und mitzureissen. Das war auch während ihrem Aufenthalt in der Berner Klinik so und hatte den Patientinnen und Patienten um sie herum den Titel «le bon groupe» eingetragen. Eine Gruppe von aufgestellten, gleichgesinnten Menschen, die sich gegenseitig aufbauten und Mut machten.

Bevor Sandra Wild Mitte Juni für einen Monat in die Berner Klinik kam, hatte sie einen körperlichen und seelischen Zusammenbruch. «Nichts ging mehr. Ich war am Putzen und plötzlich sass ich da und habe nur noch geweint. Mir sind Kindheitserinnerungen heraufgekommen, die ich 40 Jahre lang unter einem Deckel gehalten habe. Meine körperlichen Schmerzen wurden immer schlimmer. Die vom rechten Bein, wo mir einmal ein Motorrad draufgefallen ist. Und jene im Rücken, weil ich schon als Kind bei meinen Eltern mitanpacken musste, wenn sie wieder einmal ein Haus umbauen wollten. Auch meine Narben schmerzten. Ich hatte mich zu lange im Alltagsstress verloren und war ein einziger Stressklumpen», erzählt sie.

Sie ist seit 13 Jahren verheiratet und hat mit ihrem Mann zwei Töchter im Alter von 11 und 16 Jahren. Dass ihr Mann zugleich ihr Chef ist, hat die gegenwärtige Situation nicht einfacher gemacht. Es kam zu Konflikten. Sie habe die letzten Jahre nur noch funktioniert und nur drei bis vier Stunden geschlafen, erzählt Sandra Wild. Sie sei unfreundlich, dünnhäutig und nicht mehr belastbar gewesen. Als sie dann noch das Gefühl überkam, sie sei ihren beiden Töchtern keine gute Mutter mehr, hat sie gehandelt. Nach der Kostengutsprache durch die Krankenkasse konnte sie endlich die psychosomatische Rehabilitation in der Berner Klink antreten. «Ich war froh, aber kriegte gleichzeitig Angst. Ich wusste: Jetzt musst du dich mit dir auseinandersetzen.»

Die richtigen Werkzeuge

Als Sandra Wild in der Berner Klinik ankam, hat sie die ersten Tage nur geweint. Aber dann lernte sie, wieder an kleinen Dingen Freude zu haben. Dabei habe ihr in erster Linie die Psychotherapie geholfen, obwohl sie zu Beginn skeptisch war, sich jemandem so zu öffnen. Die Einzel- und Gruppengespräche mit den Psychotherapeuten, Lic. phil. Christophe Rieder und Medea Escher, haben Sandra Wild dazu bewogen, ihr Leben zu überdenken und eine ausgeglichenere Tagestruktur anzustreben, um das Gleichgewicht zwischen Leib und Seele wiederherzustellen. In einer der Sitzungungen erfolgte eine Gegenüberstellung mit ihrer Ursprungsfamilie. Da musste sie ihren Problemen ins Auge schauen und verzeihen. «Das war nicht einfach. Ich muss nun gut zu mir schauen», sagt sie. «Dank der Berner Klinik habe ich nun die richtigen Werkzeuge zur Hand, um meine Probleme anzupacken. Zudem habe ich gelernt, zu kommunizieren ohne anzugreifen. Ich bin überlegter, entspannter und erholter als zuvor. Und möchte jedem raten: Sei bereit. Sei offen. Nutze jede Therapie, um zu sehen, ob sie dir hilft.»

Sie profitierte von den vielfältigen aktiven Therapie-Angeboten, ging ins Aqua-Fun, Fit & Fun und ins Nordic Walking. «Ich wollte etwas unternehmen. Ich war übergewichtig und habe seit der Rehabilitation 30 Kilo abgenommen», sagt sie stolz. Auch die passiven Therapien hat sie der entspannenden Wirkung wegen sehr genossen: Massagen, Fango, Vichy-Dusche und Watsu. Bei Letzterem gerät sie regelrecht ins Schwärmen. «Da liegt man im Wasser mit einer Auftriebshilfe und wird von einer Therapeutin sanft gestützt. Ich fühlte mich total aufgehoben und war sofort weg. Der Wahnsinn!» Sie besuchte die Atemtechnik-Gruppe und lernte, zu meditieren. «Bei der Meditation geht es ja darum, alles Schlechte loszulassen. Da habe ich jeweils einen grossen inneren Frieden und eine grosse Ruhe in mir gespürt.»

Auch von der Kunsttherapie ist Sandra Wild beeindruckt. Sie fühlte sich auf Anhieb wohl damit, weil sie schon als Kind gern gezeichnet hatte. Zudem durfte sie dazu schottische Musik hören, die sie beruhigte. Eigentlich erstaunlich, weil sie sonst Rock, Metal und Blues zu ihrer Lieblingsmusik zählt. Aber auch das macht ihre Persönlichkeit aus. Sie ist ein Mensch, der sich gern auf Neues einlässt. «Mein erstes Bild war sehr schwarz, und in meinem letzten gab es fast kein Schwarz mehr», erzählt sie. «Ich habe mich von Tag zu Tag verändert. Bin stärker geworden und fühle mich heute so stark wie nie.» Das kann die Kunsttherapeutin Nadine Arlettaz nur bestätigen. «Frau Wild hatte einen leichten Zugang zur Kunsttherapie. Sie ist deshalb vielleicht schneller an Themen gekommen, die sie beschäftigen, als andere. Sie hat viele Ressourcen-Bilder gemalt.» Sandra Wild knüpft an und sagt: «Kunsttherapie ist als erhalte man einen Schlüssel zu seinen Problemen. Wenn ich gesagt habe: ‹Da ist es eng› (zeigt auf die Brust), forderte Frau Arlettaz mich auf: ‹Malen Sie! Wie sieht das da drin aus? Wie fühlt sich das an?› «Mit dem Sichtbarmachen von Problemen durch den Körper kann man sie besser begreifen», erklärt Nadine Arlettaz. «Die Patienten werden dadurch wieder handlungsfähig. Ich sehe mich als Unterstützerin im Genesungsprozess und bin nur da, um Fragen zu stellen. Die Bilder lassen sich am Schluss gut vergleichen. Dann frage ich vielleicht: ‹Wo stehen Sie jetzt?›» Oft nehmen die Patientinnen und Patienten die Bilder nach ihrem Aufenthalt mit nach Hause. So wie Sandra Wild. «Ich habe meinen ‹Happy Place› gezeichnet», sagt sie zu Nadine Arlettaz und zeigt auf ein Handy-Foto. – Ein weites Bergtal mit einem See. «Beim Meditieren gehe ich da rein und fühle mich sofort wohl. Ich kann mich auch mal aus dem Fluss des Lebens nehmen und einfach unter einen Baum setzen», erklärt Sandra Wild.

Die Pflegerinnen und Pfleger der Berner Klinik hat sie als äussert gesprächsbereit und sehr herzlich empfunden. Besonders erfreut war sie über Lutz Beck, weil er bei der Passerelle im fünften Stock ein Petanque-Spiel mit zwei Deutschschweizern und zwei Westschweizern ins Leben gerufen hatte, bei dem sich Sandra Wild trotz anfänglichen Verständigungsschwierigkeiten köstlich amüsierte. «Am Schluss haben wir mehrmals mehrere Stunden gespielt.» Auch sonst habe sie für sich und andere immer wieder Outdoor-Spiele besorgt. «Ich bin ein geselliger Mensch und unternehme gerne etwas mit anderen. Und ich habe sie ein bisschen angesteckt», lacht sie. Überhaupt hätten die persönlichen Beziehungen zu den anderen Patientinnen und Patienten ebenfalls zu ihrer Genesung beigetragen. Zum Teil seien daraus richtige Freundschaften entstanden. Auch über die Therapeutinnen und Therapeuten weiss sie nur Positives zu berichten: «Sie gehen auf die Patientinnen und Patienten zu und kümmern sich. Sie arbeiten mit viel Wärme und Herz», findet sie. «Alle, mit denen ich zu tun hatte, waren sehr bemüht um mein Wohlergehen. Dank ihnen fühlte ich mich aufgehoben, und ich war froh, keine Nummer zu sein», sagt sie.

Auch von der Wirkung der Kunsttherapie war die Schmerzpatientin sichtlich angetan. Im Hintergrund: Kunsttherapeutin Nadine Arlettaz. 

Mit zehn Pferdestärken

Heute steht Sandra Wild für sich ein. Es gehe ihr gut, sagt sie. «Ich habe gelernt, mit meinen inneren zehn Pferden umzugehen, wie es die Psychologin Medea Escher, ausdrücken würde. Es kommt gut, wie es kommt. Und jetzt komme ich! Natürlich darf man dabei den Respekt und den Anstand vor den anderen nicht verlieren», fügt sie an. Auch der Gesundheit räumt sie einen grösseren Stellenwert ein als vor ihrem Rehabilitationsaufenthalt. «Seit meinem Zusammenbruch habe ich wieder Freude am Sport. Ich habe mir sogar Walking-Stöcke gekauft», sagt sie stolz. Es gefällt ihr, ihren Körper zu fordern und sich auszupowern. Das tut sie auch regelmässig beim Boxen.

Dank der psychologischen Betreuung, u.a. durch Lic. phil. Christophe Rieder, hat Sandra Wild ihr inneres Gleichgewicht wiedergefunden.

Sandra Wild ist viel in der Natur, am liebsten mit ihren beiden Mädchen. Auch der Hund ist bei langen Spaziergängen immer dabei. Und die leidenschaftliche Harleyfahrerin fährt gerne Velo. «Ich könnte Bäume ausreissen!», sagt sie. Sie meditiert viel und schätzt es, diese Momente nur für sich zu haben. «Zudem esse ich regelmässig, aber keine Schokolade mehr. Man weiss ja eigentlich, was man tun müsste. Aber der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier», lacht sie.

Seit ihrem Klinikaufenthalt haben ihre Schmerzen kontinuierlich nachgelassen. Und sie fühlt sich erholt. «Nun kann ich fünf bis sechs Stunden schlafen, ohne Medikamente. Ich habe mehr als nur profitiert von dieser Reha», sagt sie abschliessend. Auch für eine neue Stelle als Chauffeurin bei einem Behindertentransport-Unternehmen hat sie sich bereits beworben. «Wenn ich Menschen mit einer Behinderung oder Beeinträchtigung helfen kann, geht mir das Herz auf», sagt sie. Man glaubt es ihr aufs Wort.